The In.Car.Nation Code

9.9.2019

„It’s still day one – die spannendste Zeit der
Automobilgeschichte ist in den nächsten zehn Jahren.“

 

Engelbert Wimmer, Gründer und Vorstandschef der Unternehmensberatung e&Co., hat ein Buch über den digitalen Wandel der Automobilindustrie geschrieben – halb Roman, halb Sachbuch. Er nimmt den Leser mit auf eine Reise zu den Hotspots der Digitalisierung in den USA, China und Israel. MOBILITÄT von MORGEN fragte ihn, wie die deutsche Leitindustrie die Herausforderungen meistern kann.

Engelbert Wimmer,
Gründer und Vorstandschef
der Unternehmensberatung e&Co.
© Hannes Magerstaedt

Autonome Mobilität kommt doch später, die E-Mobilität scheint alternativlos, Car- und Ridesharing werden kaum noch weiterentwickelt. Ist das Zeitalter der Visionen in der Automobilbranche schon wieder vorbei?
Keinesfalls. Wir blicken nach dem Hype der letzten Jahre jedoch etwas nüchterner auf die technischen Risiken und finanziellen Herausforderungen. Die aktuellen Wachstumsprognosen deuten auf einen kühlen Luftzug hin und da müssen die Taschen geschont werden, denn Visionen kann man nicht essen. Deswegen kommt jetzt der berechtigte Fokus auf das Bestandsgeschäft – und auf die konsequente Umsetzung. Zumindest an der Oberfläche, denn ohne Visionen und Erneuerung kann die Industrie natürlich auch nicht überleben.

Aus Autoherstellern müssen digitale Unternehmen werden, schreiben Sie in Ihrem Buch. Wie kann das gelingen?
Wir müssen als allererstes die Schnittstelle zum Kunden verteidigen. Im Fahrzeug haben wir das bisher durch immer hochwertigere Produkteigenschaften geschafft. Durch die Digitalisierung wird dies nun in Frage gestellt und durch andere Kunden-Prioritäten ersetzt. Das bedeutet: digitaler Vertrieb, digitaler Kundendienst, digitale Modelle der Flexibilisierung der Nutzung. Und: sich in ein digitales Ökosystem zu integrieren, das interessant genug ist, um die Kunden zu begeistern, und groß genug, um Relevanz zu bekommen.

Was ist wichtiger in diesem Prozess: Technologie oder Führung?
Es gibt dazu ein nur halb humorvoll gemeintes Bonmot: „The war for talents is over – the nerds have won“. Die Anzahl der Ingenieure auf den Chefposten der Fortune 500 ist in den letzten 20 Jahren auf etwas über 30 Prozent gestiegen, während die der Absolventen der Business Schools bei knapp einem Zehntel liegt. Führung muss heute Technologie zutiefst verstehen, sonst ist sie keine Führung. Prozesse sind dann in der Umsetzung Begleitmusik.

Wie können Unternehmen, die noch immer von Maschinenbau-Ingenieuren dominiert werden, attraktiv werden für junge Software- und IT-Spezialisten?
Entweder sie bringen die Maschinenbau-Denke auf die Höhe der Zeit (das ist meist schwierig aber nicht aussichtslos), oder Sie mischen genug Software-Kompetenz in das Management-Board und den Aufsichtsrat.

Was ist das Wichtigste für junge Berufseinsteiger: eine gute Bezahlung, ein attraktives Umfeld oder ein spannendes Ziel?
Studenten wollen meist aus sozialen Gründen in der Stadt bleiben, in der sie studiert haben. Zudem locken schnelle Aufstiegschancen und große Lerneffekte. Bei den wenigen Supertalenten sieht das anders aus: Die wollen vor allem in einem Team arbeiten, das sich zu den Besten der Besten zählt. Sie suchen Chefs, die sie respektieren können, die sie begeistern und die ihr Team zu Höchstleistung anfeuern. Diese Art der Führung ist auch kein Ponyhof, fühlt sich aber anders an als „Command and Control“.

Sie beschrieben in Ihrem Buch in Form eines Romans, wie der Automobilindustrie der digitale Wandel gelingen kann. Was in Ihrem Buch ist Fiktion, was ist selbst erlebt?
Menschen sind emotionale Wesen, und das Erzählen von Geschichten verbindet. Geschichten ziehen uns in eine andere Perspektive, nutzen alle Ebenen unseres Gehirns und führen zu einer Resonanz, zu der wir aus bloßen Sachberichten nicht fähig sind. Storytelling ist aus meiner Sicht essentieller Bestanteil von modernem Leadership. In meinem Buch finden sich alle Zutaten dafür: der Purpose, der Held, seine Mission, ein Mentor, ein Konflikt, Gegner, Widerstände und Kämpfe, und die vielen (externen wie internen) Reisen zur Überwindung. Die Erlebnisse und Dialoge meiner fiktiven Hauptprotagonisten basieren sicherlich auf meinen Erfahrungen. Sie dienen aber primär als lebendiges Gerüst, auf dem die vielen Fakten strukturiert angeordnet sind: experience reading.

Nicht zuletzt an der Börse sind die deutschen Autohersteller im Vergleich mit Uber, Tesla oder Waymo fast schon abgeschrieben. Ist dieser Pessimismus berechtigt?
Nach den Nahtoderfahrungen der Banken, Energieversorger, Telekomgiganten und vielleicht auch der deutschen Chemie bin ich bezüglich der Autoindustrie nachdenklich – aber nicht bodenlos pessimistisch. Autos sind ein Delta, in das unendlich viele Innovationen aus allen Richtungen fließen, und wir sind noch immer wirklich sehr innovativ in Deutschland. Was wir aber dringend brauchen, ist Unternehmergeist und Wagniskapital. Und da tun wir uns in Europa leider gerade sehr schwer.

Die Fragen stellte Guido Reinking

The In.Car.Nation Code

»The In.Car.Nation Code – Wie der digitale Wandel in der Mobilitätsindustrie gelingt«
von Dr. Engelbert Wimmer ist im Verlagshaus e&Co. Publishing
erschienen und über Amazon erhältlich. ISBN: 978-3-00-060987-9

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