Reichweite ist durch nichts zu ersetzen

19.9.2022

Reichweite ist durch nichts zu ersetzen

 

Was ist besser, eine Batterie mit hoher Reichweite oder eine mit kurzer Ladezeit? Beides, denn große Akkus vertragen auch stärkere Ladeströme. Wer mit einem E-Auto möglichst weit kommen möchte, benötigt viel Geld und Geduld.

© Mercedes-Benz AG

Die Klagen über Automobilhersteller, die keine Elektrofahrzeuge bauen, sind verstummt: Allein unter den deutschen Marken hat der Kunde die Auswahl unter mehr als 20 elektrischen Modellen. Importmarken vergrößern das Angebot mindestens um das Doppelte. Aus gutem Grund, denn inzwischen entscheidet sich hierzulande jeder siebte Kunde für ein sogenanntes Battery Electric Vehicle (BEV). Das liegt neben dem gestiegenen Umweltbewusstsein vor allem an der üppigen Förderung. Um bis zu 9.570 Euro kann sich der Preis eines E-Autos reduzieren und es – je nach Fahrzeugsegment – sogar günstiger machen als ein vergleichbares Pendant mit Diesel- oder Benzinmotor. Kleiner Wermutstropfen: Der Staat wird ab 2023 seinen Zuschuss von 6.000 auf 4.500 Euro reduzieren. Die geringere Dienstwagensteuer von 0,25 statt 1 Prozent des Nettolistenpreises für die private Nutzung bleibt erhalten.

Der Effekt auf die Kunden bleibt abzuwarten. Gestörte Lieferketten und kletternde Rohstoffpreise machen sich schon jetzt beim Kauf von E-Autos bemerkbar. Das Center for Automotive Research ermittelte innerhalb eines Jahres einen durchschnittlichen Preisanstieg von 14,5 Prozent. Dabei ist ein Stromer ohnehin schon circa 10.000 Euro teurer als ein vergleichbarer Verbrenner. Hinzu kommen lange Lieferzeiten: Auf einen Audi Q4 e-tron wartet der Käufer bis zu zwei Jahre. Und wer vor einem Jahr einen VW ID.4 bestellt hat, den vertröstet der Händler mittlerweile auf das Frühjahr 2023.

Die tatsächliche Reichweite liegt unter dem WLTP-Wert

Die Geduld der Kunden ist umso erstaunlicher, wenn man die Probleme bei der Reichweite von E-Autos bedenkt. Wie weit man mit einem voll geladenen Akku kommt, ist ein entscheidendes Kaufkriterium. Die Hersteller werben eifrig damit, dass selbst in Kleinwagen wie dem Opel Corsa-e bereits 50 kWh Akkuleistung stecken. Kompaktmodelle wie der VW ID.3 bieten bis zu 77 kWh, SUVs wie der BMW iX und Oberklasse-Limousinen wie der Mercedes EQS erreichen Kapazitäten von etwas mehr als 100 kWh.

Doch wie weit kann man damit tatsächlich fahren? Im Alltag verbrauchen Kleinwagen je 100 Kilometer circa 17 kWh an Energie, Mittelklassewagen benötigen dafür um die 23 kWh und große SUVs bis zu 30 kWh. Die Hersteller werben allerdings mit deutlich niedrigeren Verbrauchswerten, die sie mit dem WLTP-Testverfahren ermitteln. Dabei zehren Autobahnfahrten – selbst bei gemäßigtem Tempo – besonders kräftig an der Batteriekapazität. Längere Touren müssen daher hinsichtlich der Ladevorgänge sorgfältig geplant werden. Wer etwa eine längere Fahrt mit einem VW ID.3 Pro plant, sollte sich nicht auf die Angaben von Volkswagen für das Modell verlassen. Bei einer Leistung von 150 kW und einer Akku-Größe von 58 kWh verspricht der Hersteller eine WLTP-Reichweite von 429 Kilometern. Doch bei einer Fahrt mit der Richtgeschwindigkeit von 130 Kilometern pro Stunde schrumpft der Aktionsradius um happige 50 Prozent auf 216 Kilometer.

Doch selbst dieser Wert gilt nur für den ersten Streckenabschnitt, wenn man mit einer zu 100 Prozent geladenen Batterie startet und diese ganz leer fährt. Tatsächlich bleibt netto also eher eine Etappenreichweite von 180 Kilometern übrig. An einer High Performance Charging-Säule (HPC) könnte der ID.3 im Bestfall mit bis zu 120 kW Ladeleistung versorgt werden. Um die Batterie von zehn auf 80 Prozent aufzuladen, benötigt man laut VW etwas mehr als eine halbe Stunde. Ein Laden auf 100 Prozent ist wenig sinnvoll, weil die letzten 20 Prozent aufgrund der stark abfallenden Ladekurve unverhältnismäßig lange dauern. 80 Prozent der Batteriekapazität bedeuten jedoch für die nächsten Etappen nur noch eine Reichweite von rund 150 Kilometern. Das macht ein Aufladen nach jeweils 75 Minuten erforderlich. Guter Reisekomfort sieht anders aus.

Auf die Ladeleistung kommt es an

Je kürzer also die Stopps an der Säule, desto besser. Hyundai hat daher als erster größerer Hersteller eine 800-Volt-Plattform entwickelt. Sie ermöglicht doppelt so hohe Ladeströme wie die üblichen 400-Volt-Architekturen, wie sie Volkswagen oder die Stellantis-Gruppe (Opel, Peugeot, Fiat) nutzen. Deshalb sind der Kia EV6 und der Hyundai Ioniq 5 in ihrem Segment die Spitzenreiter beim Schnellladen. Mit 800 Volt werden auch der Porsche Taycan und der Audi e-tron GT geladen. Alle vier Modelle können in 20 Minuten zwischen 250 und 300 Kilometer Reichweite nachladen. Das hat die Unternehmensberatung P3 Group aus Stuttgart ermittelt. Sie hat 2019 einen Charging Index (CI) entwickelt, mit dem Ladezeiten verglichen werden können. Ein CI-Wert von 1,0 bedeutet, dass in 20 Minuten 300 Kilometer Realreichweite nachgeladen werden können. Sind es 150
Kilometer, liegt der CI-Wert bei 0,5. Bester Stromer ist momentan der Kia EV6 mit einem CI-Wert von 1,03. Grund dafür sind die hohe Ladeleistung in Verbindung mit einem günstigen Realverbrauch. Nach 20 Minuten am Schnelllader steht dem EV6-Fahrer Energie für 309 Kilometer bereit.

Tesla und Mercedes können trotz ihrer 400-Volt-Technik recht gut mithalten. Das liegt an einem ausgetüftelten Batteriemanagement, bei dem die Zellen in den ersten 15 Minuten hohe Ladeströme zulassen, ehe die Ladekurve stärker abfällt. Dadurch stehen bei einem Tesla Model 3 Long Range nach 20 Minuten 221 Kilometer, bei einem Mercedes EQS sogar 266 Kilometer mehr Reichweite zur Verfügung. Generell vertragen Akkus mit großer Kapazität höhere Ladeströme als solche mit kleiner Kapazität. Käufern ist daher die Wahl der größten verfügbaren Batterie zu empfehlen. Das erhöht nicht nur die Reichweite, sondern verkürzt auch die Ladezeiten. Allerdings ist die Batterie das teuerste Teil am E-Auto: 10 kWh kosten rund 1600 Euro.

Michael Specht

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