19.9.2022
Neue Mobilitätskonzepte
Flexibilität ist Trumpf
Die Zahl der Autofahrer sinkt nur langsam. Wer weiterhin ein Fahrzeug nutzt, will sich aber nicht mehr jahrelang an ein Modell binden. Auto-Abos sind im Trend.
Für viele Menschen, vor allem außerhalb der großen Städte, bleibt das Auto unverzichtbares Transportmittel. Das heißt aber nicht, dass sie ein eigenes Auto besitzen müssen. „Immer mehr Kunden wollen heute Flexibilität“, sagt Konrad Weßner, Geschäftsführer der Puls Marktforschung, „und sich nicht langfristig binden.“ Das Institut fragt regelmäßig 1000 Autokäufer und Kaufinteressenten nach ihren Präferenzen. Bei der jüngsten Befragung kam heraus, dass sich immer weniger Autofahrer zwei oder drei Jahre an ein Auto binden wollen. „Jeder Vierte wäre sogar bereit, für ein flexibleres Nutzungsangebot einen Aufpreis zu bezahlen“, so Weßner. Vor allem bei den unter 50-Jährigen ist dieser Trend stark ausgeprägt.
Oft sind es auch die unsicheren wirtschaftlichen Aussichten, die Kunden vor langfristigen Leasing- oder Kreditverträgen zurückschrecken lassen. Erste Autohersteller haben das erkannt. So bietet Lynk & Co., eine Marke der chinesischen Geely-Gruppe, ein monatlich kündbares Auto-Abo an. Doch nur fünf Prozent der Kunden steigen tatsächlich nach einem Monat aus. Weßner: „Es ist vor allem das gute Gefühl, schnell aus einem Vertrag herauszukommen, das den Erfolg eines solchen Angebots ausmacht.“
Deshalb werden Auto-Abos immer beliebter. Sie sind flexibler kündbar als Leasing- oder Kreditverträge. Das Auto kann auch unkompliziert gegen ein anderes Modell getauscht werden. Volvo war mit „Care“ der erste Anbieter eines Abos, bei dem der Kunde mit einer Rate die Fahrzeugnutzung, Wartung, Reifen, Steuern und Versicherung bezahlt. Nur tanken oder laden muss er selbst.
Mittlerweile gibt es auch mehrere markenunabhängige Anbieter am Markt, wie Ein Auto, Like2Drive, Cluny und ViveLaCar. Die Internet-Suchanfragen nach dem Stichwort „Auto-Abo“, hätten sich seit 2020 vervierfacht, sagt Johannes Graßmann, Leiter des Automotive-Teams bei Google Deutschland, auf dem Puls-Automobilkongress.
Laut ViveLaCar beträgt die Abo-Laufzeit im Durchschnitt 8,6 Monate. Die Kunden sind mit durchschnittlich 41 Jahren rund zehn Jahre jünger als der durchschnittliche Autokäufer. Jedes dritte Auto-Abo wird von Unternehmen für Mitarbeiter abgeschlossen. 35 Prozent entscheiden sich für ein Elektroauto oder Hybrid. „Das Auto-Abo ist ideal für Kunden, die das Thema E-Mobilität für sich testen wollen“, sagt Stephan Lützenkirchen von ViveLaCar. „Wenn es nicht passt, können sie das Elektroauto zurückgeben oder gegen ein konventionell angetriebenes tauschen.“ Zudem entgehen die Kunden so dem schwer einzuschätzenden Restwertrisiko. Elektroautos haben oftmals einen hohen Wertverlust.
Eine schnelle Abkehr vom Auto kann Google bei seinen Befragungen nicht feststellen. Der Anteil der Menschen, die überhaupt nicht mehr Auto fahren, steigt nur langsam. Waren es Anfang 2020 acht Prozent, ist der Anteil in diesem Jahr auf zehn Prozent gestiegen. 55 Prozent nutzen regelmäßig ein Auto. 2020 waren es noch 58 Prozent.
Immer mehr Menschen interessieren sich für die intermodale Mobilität: „Die Menschen wollen einfach nur ans Ziel kommen, egal wie“, hat Google-Manager Graßmann festgestellt. „Sie verlieren wegen der großen Auswahl die Übersicht.“ Die Zahl der Google-Anfragen, wie man von A nach B kommt, hat sich innerhalb von zehn Jahren vervierfacht.
Offenbar sind auch immer weniger Menschen bereit, für individuelle Mobilität ein Vermögen auszugeben: Im Durchschnitt geben die Kunden im Laufe ihres Lebens 377.000 Euro für autobezogene Mobilität aus, hat VW Financial Services ausgerechnet. Das meiste davon landete bisher bei den etablierten Autoherstellern, ihren Banken und Händlern. Doch der Kuchen wird gerade neu verteilt.
Guido Reinking