Die deutsche Automobilindustrie hat geschlafen – aber nicht bei der Elektromobilität

 

Der Vorwurf, die deutschen Autohersteller hätten die Elektromobilität verschlafen, wird durch ständiges Wiederholen nicht richtiger. Wie kann man eine Technologie verschlafen, für die es kaum Nachfrage gibt? Es sei denn, Staaten schütten immer größere Kübel an Subventionen in den Markt und bauen dem Verbrennungsmotoren immer höhere regulatorische Hürden. Ohne solche Zwangsbeglückung, das hat man vergangenes Jahr in China gesehen, will nur ein kleiner Teil der Kunden die Vorteile des E-Autos erkennen – so es sie denn überhaupt gibt. Denn für den Kunden haben Elektroautos heute eigentlich nur Nachteile.

Das hier ist dennoch kein Freispruch für die deutschen Autobauer. Sie haben tatsächlich geschlafen, aber auf einem ganz anderen Technikfeld, das sich noch als überlebenswichtig herausstellen wird: der Software und IT. Dieser Tage hören wir von einem Rückruf und der Produktionsunterbrechung beim jüngsten VW Golf, dem Modell VIII. Wegen eines Softwarefehlers funktioniert der Notrufassistent bei manchen Fahrzeugen der Baureihe nicht so, wie er sollte. Dieser Assistent schickt bei einem Unfall, oder wenn der Fahrer den SOS-Knopf drückt, ein Signal zur nächsten Rettungsleitstelle und stellt eine Sprechverbindung her. Der eCall genannte Service ist in der EU vorgeschrieben. Ohne dieses System darf kein Neuwagen mehr zugelassen werden.

Tesla kann’s besser

Nun ruft VW alle Golf VIII und die mit dem gleichen System ausgestatteten Kompaktmodelle von Audi, Skoda und Seat zum Softwareupdate in die Werkstätten. Tesla-Chef Elon Musk dürfte sich, sofern er davon gehört hat, vor Lachen biegen. Zum Software-Update in die Werkstatt? Wäre der Golf VIII ein Tesla, er bekäme die neue Software per automatischem Update aufgespielt, so wie wir das von unseren Smartphones, Tablets und Computern seit vielen Jahren kennen. Tesla-Kunden müssten sich um nichts kümmern, keinen Werkstatttermin ausmachen, keine Ersatzauto besorgen, keine merkwürdigen Stories über ihre Auto in den Medien lesen. Sie wüssten womöglich nicht mal davon.

Dass es bei BMW und Mercedes-Benz nicht besser läuft als bei VW, macht es umso schlimmer. Es gibt zwei mögliche Gründe, warum die deutschen Autobauer, übrigens auch ihre Konkurrenten in Frankreich, Japan und Südkorea, hier gegenüber Tesla um Jahre hinterherfahren. Beherrschen sie diese Technologie nicht, oder wollten sie keine Updates, die über neue Karten im Navi und Apps zum Musikhören hinausgehen? Beides ist richtig. Bei VW zum Beispiel sind auch in der jüngsten Elektronikplattform MEB3 nur solche Updates übers Internet möglich, die Komfort- und Infotainment betreffen. Sicherheitsrelevante Software, wie der Notrufassistent, sind ausgenommen. Die Wolfsburger wollen so die Autos vor Hackern schützen. Dass Autos von Unbefugten übernommen werden können, zum Beispiel um den Hersteller zu erpressen, ist ein Horrorszenario in der Branche.

Dabei muss man wissen: Auch Softwareupdates in der Werkstatt sind nicht hundertprozentig sicher, wie mir ein israelischer Spezialist für IT-Sicherheit glaubhaft versichert hat. Denn der Server in der Werkstatt, der die Software überspielt, könne schließlich auch gehackt werden. Auch konnten Unbefugte über die Infotainment-Einheit des Autos Zugang zu sicherheitsrelevanten Funktionen herstellen.

Tesla hat diese Sorgen offenbar nicht und kann seinen Kunden zusätzliche Funktionen, zum Beispiel automatisiertes Fahren, über das Internet ins Auto überspielen. Und die dort bereits vorhandenen Funktionen werden kontinuierlich optimiert. „Mein Auto wird jeden Monat besser“, sagte mir ein Tesla-Fahrer stolz. Tesla kann das auch deshalb, weil die Autos über eine zentralisierte IT-Architektur verfügen. Wo im Golf VIII rund 70 Steuergeräte über den Can-Bus Informationen austauschen – eine Technologie aus den 80er Jahren – werden im Tesla alle Komfort- und Fahrfunktionen in zwei Rechnern gesteuert. Übrigens: In der aktuellen Mercedes S-Klasse werkeln bis zu 120 Steuergeräte.

Selbst der VW ID3 ist nicht Update-fähig

Der Volkswagen ID3 kommt mit nur noch drei Rechnern aus, jeweils eines für Infotainment, Antrieb und Assistenzsysteme. Wie zu hören ist, soll auch beim ID3 nur das Infotainment fähig sein zu Over-the-Air-Updates. Damit stresst das Unternehmen nicht nur seine Kunden mit unnötigen Werkstattbesuchen. Es verbaut sich auch die Möglichkeit, VW-Fahrern neue Funktionen über das Internet zu verkaufen, zum Beispiel eine App zum automatisierten Fahren.

Die IT-Fähigkeit und nicht der Elektroantrieb ist übrigens der Hauptgrund, weshalb Tesla an der Börse mehr wert ist als Daimler, BMW und Volkswagen zusammen.

Bookmark the Permalink.

Kommentare sind geschlossen.