Rennen gegen die Uhr

11.9.2015

RENNEN GEGEN DIE UHR

Rennen gegen die Uhr

 

Die Uhr tickt für die deutsche Automobilindustrie: Wer wird das Rennen um die Mobilität der Zukunft gewinnen, die etablierten, weltweit geschätzten Autobauer aus Bayern, Baden-Württemberg und Niedersachsen – oder die IT-Unternehmen aus dem Silicon Valley in Kalifornien?

Wer baut das Smart-Car, das wie das Smartphone neue Käufer-Generationen für sich gewinnt, Audi, BMW, Mercedes – oder Apple, Google, Tesla? Auf der IAA in Frankfurt will die Automobilindustrie darauf die Antwort geben. Nie zuvor spielten auf der wichtigsten Automesse des Jahres die Technologien eine größere Rolle, die nur am Rande mit Design, Fahrdynamik und Komfort zu tun haben. Die Vorstandschefs der großen Autobauer werden auf ihren Pressekonferenzen mehr über Vernetzung, Konnektivität und autonomes Fahren sprechen als über PS. Neue Fahrzeugmodelle werden nicht mehr von Hostessen auf die Bühne gelenkt, sondern fahren schon mal selbstständig ins Rampenlicht, gerufen von Smartphones, Smartwatches oder per Smart Key, den BMW mit dem neuen 7er präsentiert.

 

Entwicklung der OEM-InnovationenEine Messe in der Messe zur Mobilität der Zukunft

Die IAA widmet den neuen Themen eine Messe in der Messe:
Die „New Mobility World“ in Halle 3.1 soll zur Leistungsschau einer Autobranche werden, welche die Zeichen der Zeit erkannt hat. Auch wenn in Deutschland die Nachfrage nach Elektroautos hinter den Erwartungen liegt, werden die Autobauer ihre Antwort auf den Achtungserfolg von Tesla geben. Volkswagen versucht getreu seinem Markennamen ein möglichst alltagstaugliches Konzept der E-Mobilität zu etablieren: den Plug-in-Hybriden, der das Beste aus zwei Welten verbindet. BMW bleibt trotz der ernüchternden Nachfrage nach dem i3 am Ball. Die Münchner fühlen sich bestärkt durch die Anfrage von Apple, die Basis des Carbon-Fahrzeugs für ihr iCar nutzen zu dürfen. Selbst vom Google-Car, dem autonom fahrenden Stadtmobil, sieht sich das bald 100 Jahre alte Unternehmen nicht bedroht: schon seit Jahren fährt BMW hochautomatisiert mit einem Prototyp. Audi arbeitet derweil an einem eigenen Tesla-Konkurrenten – spät, aber nicht zu spät. Die neuen Mitspieler im Wettbewerb um das Auto der Zukunft sind längst da. Unter die etablierten Zulieferer mischen sich immer mehr Unternehmen aus anderen Branchen: Giesecke & Devrient ermöglicht sichere Datenverbindungen zum Auto. NXP liefert die Chips für die immer leistungsstärkere IT im Auto.
Bombardier etabliert das kontaktlose Laden von Elektroautos. Schröder will seine Straßenlaternen zu Ladestationen machen. Unterdessen lassen sich die etablierten Zulieferer das Heft nicht kampflos aus der Hand nehmen: Sie vernetzen, wie Continental, das Fahrzeug immer stärker mit seiner Umwelt.

 

Guido Reinking beobachtet seit 20 Jahren die Automobilindustrie

Guido Reinking beobachtet die Automobilindustrie seit 20 Jahren – unter anderem für „Welt am Sonntag“, „Financial Times Deutschland“, „Automobilwoche“ und „Capital“.

Nie gab es im Auto mehr Innovationen

Im Schatten imageträchtiger Leuchtturmprojekte zeigt der Volumenhersteller Ford, wie man intelligente Fahrerassistenzsysteme in jedem Fahrzeugsegment etablieren kann. Denn das „Apple-Car“ ist längst nicht für jeden Autokunden eine attraktive Vision von der Mobilität der Zukunft, es spricht eher eine solvente, männliche Minderheit an, wie eine Umfrage der Leasinggesellschaft LeaseTrend zeigt. Die Autobranche hat den Fehdehandschuh aufgenommen, der ihr aus dem Silicon Valley zugeworfen wurde: Nie war die Zahl der Innovationen in den Bereichen Informationstechnologie, Konnektivität, Bedienung und Fahrerassistenzsysteme größer, zeigt eine Studie des Center of Automotive Management der Fachhochschule der Wirtschaft Bergisch Gladbach. Hier wurden sogar die Anstrengungen bei den alternativen Antrieben übertroffen. Am Ende könnte sich der Technologie-Wettbewerb sogar als Glücksfall für die etablierten Hersteller erweisen: Mit noch mehr PS, noch aufregenderem Design sind in den etablierten Märkten immer weniger Kunden zu begeistern. Für diese Seite des Autogeschäfts ist die Uhr langsam abgelaufen.

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