Interview

16.9.2016

INTERVIEW

»Das Auto wird zum dritten Lebensraum«

Peter Fuß

PETER FUSS, Senior Advisory Partner Automotive der Unternehmensberatung EY.

Autonomes Fahren wird die Mobilität grundlegend verändern, sagt Peter Fuß, Automotive Partner der Unternehmensberatung EY, im Interview mit MOBILITÄT von MORGEN.

MOBILITÄT von MORGEN: Herr Fuß, in drei Bereichen ist die Autobranche im Umbruch: Elektrifizierung, Vernetzung und autonomes Fahren. Was wird die Industrie denn am meisten verändern?

PETER FUSS: Die erste große Veränderung geht mit der Elektrifizierung einher, weil sie die gesamte automobile Wertschöpfungskette dramatisch wandelt. Statt Verbrennungsmotor und Getriebe werden wir einen Batterie- oder Brennstoffzellenantrieb haben. Das Thema autonomes Fahren wird zusätzliche Funktionen in das Auto bringen, mit Sensoren, GPS-Systemen und Kameras. Es wird die Industrie verändern in Richtung Mobilitätsdienstleistung. Über das autonome Fahren wird das Auto zum dritten Lebensraum – neben Wohnung und Arbeitsplatz. Hier kann ich auf einmal Zeit sinnvoll nutzen, während ich mich fahren lasse. Autohersteller können so neue Dienste anbieten, Carsharing nimmt eine neue Dimension an …

Autonomes Fahren wird immer einhergehen mit Carsharing? Oder werden die Menschen auch weiter auch autonome Fahrzeuge besitzen wollen?

Es wird Menschen geben, die immer noch ein Auto besitzen und nicht teilen wollen, auch wenn es die meiste Zeit rumsteht – ich möchte es auch so personalisiert haben, dass es auf mich individuell zugeschnitten ist. Aber autonomes Fahren wird eben durch Carsharing zu Mobility on demand, wo ich wirklich nur noch für die Mobilität bezahle. Also weg von einer reinen Produktorientierung zu einer Nutzerorientierung. Das ist auch aus Verbrauchersicht ein Idealzustand.

Müssen Carsharing-Fahrzeuge anders sein als Autos für den individuellen Besitz?

Vor allem im Innenraum werden wir Veränderung sehen. Nicht nur neue Materialien. Jeder Kunde hat andere Präferenzen, bei den Farben, der Cockpit-Gestaltung. Wir werden veränderbare Hardware im Auto sehen. Das Cockpit und die Sitze werden sich stärker anpassen lassen. Der eine will arbeiten, der andere will schlafen. Da hat die Industrie gerade erst angefangen, den Wandel zu verstehen.

Heute fahren die Menschen mit dem eigenen Fahrzeug in die Stadt, stellen es irgendwo ab und fahren abends wieder raus. Das heißt, man muss Parkraum vorhalten, die Verkehrswege sind verstopft. Wird dieser urbane Verkehr sich grundlegend verändern durch die autonome Mobilität?

Ja, wir werden völlig neue Mobilitätskonzepte für die Städte sehen. Der normale Pkw-Verkehr wird vermutlich aus der Stadt verbannt. Wir sehen erste Überlegungen in Amsterdam, Kopenhagen, New York. Selbstfahrende Autos werden, in Verbindung mit öffentlichen Transportmitteln, für individuelle Mobilität sorgen. Das heißt: kein Stau mehr, keine Parkplatzsuche. Wir werden eine ganz andere Infrastruktur bekommen. Das betrifft auch Logistikthemen: Das autonome Fahren bietet ganz neue Möglichkeiten, Lieferungen zu transportieren, die Kinder morgens in die Schule zu bringen, abends wieder abzuholen. Autonome Autos werden wahrscheinlich kaum mehr stillstehen, weil sie durch Carsharing permanent unterwegs sind. Wir werden nicht mehr so viele parkende Fahrzeuge an den Straßenrändern sehen, so dass auch das Wohnen und Leben in den Städten viel attraktiver wird.

Was heißt das für die Industrie, wird man künftig weniger Fahrzeuge brauchen?

Da die Fahrzeuge kaum mehr stillstehen, 24 Stunden, 7 Tage die Woche genutzt werden, ist der Verschleiß viel größer als bei einem Auto, das 93 Prozent der Zeit ungenutzt rumsteht. Die Produktionsmenge wird sich wahrscheinlich nicht verändern, so dass ich nicht davon ausgehe, dass es hier zu einem Einbruch kommt. Im Gegenteil: Der Fahrzeugbestand weltweit wird sich von heute ungefähr 900 Millionen bis 2050 mehr als verdoppeln. Das heißt, die Automobilindustrie wird auch weiterhin wachsen.

Die Autohersteller und Zulieferer werden nicht müde zu betonen, dass sie sich zu Mobilitätsdienstleistern wandeln. Ist das eigentlich für die Autohersteller ein lohnendes Geschäftsmodell?

Die Autobauer werden zunächst weiterhin vor allem die Hardware, also das Auto, entwickeln, produzieren, verkaufen. Vermutlich aber mit viel geringeren Margen, weil der Mobilitätskunde den Mehrwert nicht mehr in der reinen Hardware Auto sehen wird, sondern in den Dienstleistungen, die rund um das Auto angeboten werden. Und da ist die Frage, wie schnell die Automobilhersteller in der Lage sind, in diese Bereiche vorzudringen, die eben im Augenblick nicht zur ihrer Kernkompetenz gehören. Daher sehen wir auch viele Kooperationen von Autoherstellern mit Nicht-Automobilunternehmen, mit den Googles, Apples und Ubers dieser Welt. An dieser Schnittstelle kann man nur gemeinsam erfolgreich sein. Die Margen im reinen Autogeschäft sind eh schon gering, weil der Wettbewerb brutal ist. Also müssen Automobilhersteller sowieso versuchen, in andere Bereiche vorzudringen, wo sie deutlich höhere Margen erzielen können. Aber dazu müssen sie auch ihre eigenen Fähigkeiten, ihr Know-how deutlich nachrüsten.

Neue Player aus dem Silicon Valley drängen in das Autogeschäft. Tesla, Google, Apple, Faraday Future. Was führen die im Schilde?

Jedenfalls wollen sie keine Autohersteller werden. Sie kommen nicht von der Produktseite, sondern von der Nutzerseite. Sie versuchen besser zu verstehen, was dem Nutzer als Mobilitätskunden das Leben leichter macht und einen Mehrwert schafft.

Und was wäre das?

Wenn ich im Auto Zeit habe, wenn ich mich nicht mehr mit dem Steuern des Fahrzeuges beschäftigen muss, was kann ich dann alles Wunderbares tun? Ich kann einkaufen, ich kann arbeiten. Und welche Dienste brauche ich dazu? Wie schaffe ich es, dass ich meine Musik von zu Hause in das Auto hineingespielt bekomme? Dass ich meine Lieblingsvideos im Auto schauen kann. Dass ich in meinem Lieblingsshop virtuell einkaufen kann. Dass mir zum Beispiel eine Boutique mit Handtaschen in das Auto hineinprojiziert wird und ich dann virtuell im Auto einkaufen kann. Wer mir das ermöglicht, der schafft einen Mehrwert. Dann bin ich auch bereit, als Mobilitätskunde etwas für zu bezahlen, vielleicht sogar mehr, als für die reine Nutzung der Hardware.

Werden es die Autohersteller schaffen, dieses Geschäftsmodell exklusiv zu halten, oder müssen sie dritte Anbieter wie Google und Apple ins Auto lassen?

Sie werden in Teilbereichen mitspielen können, wenn es um Dienste rund um die Mobilität geht. Aber alles, was sonst im persönlichen Umfeld des Kunden eine Rolle spielt, Gesundheit, Einkaufen, Unterhaltung – das sind alles Themen, die sie eher anderen Playern überlassen müssen, weil das eben nicht die Kernkompetenz eines Autobauers ist.

In Deutschland werden 14 Prozent vom Haushaltseinkommen für Mobilität ausgegeben. Wird dieser Anteil steigen, oder wird Mobilität vielleicht sogar billiger werden?

Muss Mobilität Geld kosten? Warum ist Mobilität nicht kostenlos?

Wie die Information im Internet?

Genau. Bei der Entwicklung neuer Mobilitätsdienstleistungen sehen wir Player, die verdienen ihre Geld mit Daten. Von daher könnte es durchaus sein, dass Mobilität selber gar nicht mehr viel kosten wird. Für viele Dienstleistungen im Internet muss ich nichts bezahlen, akzeptiere aber, dass ich meine Daten preisgebe. Das kann man sich bei Mobilität auch vorstellen. Unternehmen wir Google sind primär an Daten interessiert, um den Kunden, kennenzulernen, um seine Wünsche zu erkennen und ihn zufrieden zu stellen: Was könnte ihn jetzt interessieren, hat er Hunger, braucht er eine Pause. Da ist ein Riesengeschäftsmodell zu erkennen, mit ungeahnten Möglichkeiten.

Das Interview führte Guido Reinking.

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