Individuelle Mobilität intelligenter gestalten

3.9.2021

„Individuelle Mobilität intelligenter gestalten“

 

Jeden Morgen machen sich in und um München mehr als eine Million Menschen auf den Weg zur Arbeit. Der Isarmetropole droht aufgrund ihres Wachstums bis 2030 der Verkehrsinfarkt. Wie der vermieden werden soll, erklärt Katrin Habenschaden, 2. Bürgermeisterin der Landeshauptstadt München, im Interview.

Katrin Habenschaden 2. Bürgermeisterin der Landeshauptstadt München Foto: Anja Mörk

2017 nutzte jeder dritte Pendler im Großraum München das Auto, entweder als Fahrer oder als Mitfahrer. Wie soll der Anteil des motorisierten Individualverkehrs auf den vom Stadtrat für 2025 angepeilten Wert von 20 Prozent reduziert werden?
Indem wir die öffentlichen Verkehrsmittel und die Radinfrastruktur so attraktiv gestalten, dass immer mehr Autofahrer aus Überzeugung das Auto stehen lassen. Die Stadt München wird in den kommenden Jahren Milli-arden Euro in den Ausbau von U-Bahn, Bus und Tram investieren und ein attraktives Radwegenetz schaffen. Die Verbesserung des Angebots ist also der zentrale Hebel. Wir müssen die Alternativen so attraktiv machen, dass die tägliche Autonutzung für viele Menschen überflüssig wird.

Die S- und U-Bahnen des MVV sind zur Hauptverkehrszeit schon jetzt heillos überfüllt. Würde das von Ihnen vorgeschlagene 365-Euro-Ticket für alle dieses Problem nicht eher noch verschärfen?
Aus diesem Grund haben wir eine ÖPNV-Ausbau-Offensive gestartet, die bundesweit ihresgleichen sucht. Sobald der Freistaat sein Versprechen einlöst, ein 365-Euro-Ticket für alle in München finanziell zu unterstützen, werden wir die Einführung auf den Weg bringen. Die Fahrgastzahlen im ÖPNV sind aufgrund von Corona auf niedrigem Niveau, dennoch glaube ich, dass sich die Situation mittelfristig normalisiert. Der Öffentliche Nahverkehr ist und bleibt Münchens Mobilitäts-Rückgrat.

Welche Rolle spielen Elektrofahrzeuge im Mobilitätskonzept der Stadt und was bedeutet das konkret für den Ausbau der Ladeinfrastruktur in München?
Elektroautos sind lokal emissionsfrei. Zwei große Probleme werden damit beseitigt: der Lärm und die Abgasbelastung. Das ist ein Segen für die Menschen in der Stadt. Ein Haken bleibt aber: Elektroautos verbrauchen genauso viel Platz wie konventionelle Pkw. In engen Städten mit einer hohen Flächenkonkurrenz wie in München lösen wir durch eine reine Antriebswende nicht unsere Verkehrsprobleme. Dennoch wird sich die Elektromobilität durchsetzen. Der Ausbau der Ladeinfrastruktur muss Schritt halten, wir zählen deutschlandweit aber heute bereits zu den Städten mit den meisten Ladepunkten.

Auf Ihrer Homepage steht: „Grüne Verkehrspolitik in München heißt: Klimafreundliche, stressfreie Mobilität für alle und mehr öffentlicher Raum für die Menschen.“ Müsste dafür das Auto nicht ganz aus der Stadt gedrängt werden?
Die Reduzierung des Autoverkehrs ist kein Selbstzweck, sondern aus vielerlei Gründen geboten. München ist Stauhauptstadt, unsere Straßen und Wohngegenden sind überfüllt mit Autos. Der Verkehr verursacht fast ein Fünftel aller Emissionen in München. Die grün-rote Koalition setzt deshalb bei ihrer Verkehrsplanung auf platzsparende und klimafreundliche Verkehrsmittel. Privaten Pkw-Verkehr, am besten emissionsfrei, wird es weiterhin in unserer Stadt geben. Und auch der Wirtschaftsverkehr muss funktionieren. Individuelle Mobilität ist die große Errungenschaft unserer Zeit, wir müssen sie aber intelligenter gestalten.

Wie könnte das aussehen?
Es ist nicht mehr zeitgemäß, Städte mit Autos vollzustellen, die die meiste Zeit des Tages nicht bewegt werden. Dafür ist unser urbaner Raum zu kostbar. Eine neue Kultur des Teilens statt des Besitzens kann Individualität ermöglichen und unsere Städte entlasten. Car-Sharing, Pooling, digitale Vernetzung der Verkehrsmittel, daran gilt es jetzt verstärkt zu arbeiten. In München wird die Verkehrsdebatte gern auf Autofahrer gegen Radfahrer verkürzt. Ich finde das schade, denn die meisten Münchner sind beides. Mobilitätspolitik muss immer alle im Blick haben.

Die Fragen stellte Christoph Neuschäffer

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