Hamburg fährt voraus

15.11.2020

Digitale Zukunft der Mobilität

Hamburg fährt voraus

 

In Sachen Mobilität von Morgen macht den Hanseaten aktuell in Deutschland niemand etwas vor. Die Elbmetropole belegt dank intelligenter Verkehrskonzepte und alltagstauglicher Lösungen den ersten Platz im Smart City Ranking. Grund genug, einen Blick auf die Hafenstadt zu werfen.

 

Seit Juni 2020 befindet sich der elektrobetriebene und autonom fahrende Shuttlebus Hamburg Electric Autonomous Transportation (HEAT) in seiner zweiten Testphase.

 

Die Frage, welche Stadt in Deutschland zurzeit am weitesten in Sachen Digitalisierung ist, lässt sich zweifelsfrei beantworten: Gleich zwei jüngst veröffentlichte Smart City Studien kürten Hamburg zum Sieger. Das Smart City Ranking der Unternehmensberatung Haselhorst Associates hat dazu 403 deutsche Städte mit jeweils mehr als 30.000 Einwohnern unter die Lupe genommen und sieht die Hansestadt in vielen Digitalisierungsbereichen wie Strategie und Infrastruktur ganz vorn. Beim jährlich erhobenen Smart City Index des Digitalverbandes Bitkom werden die 81 größten deutschen Städte hinsichtlich digitaler Verwaltung, Infrastruktur, Energie/Umwelt, Mobilität und Gesellschaft miteinander verglichen – auch hier liegt Deutschlands Tor zur Welt auf Platz 1. „Hamburg hat den Titel mit Spitzenwerten in allen fünf Themenbereichen souverän verteidigt“, sagt Bitkom-Hauptgeschäftsführer Dr. Bernhard Rohleder. „Erfolgsfaktoren für eine Smart City sind nicht nur eine gute Finanzkraft, sondern allen voran eine umfassende und in die Stadtentwicklung integrierte Digitalstrategie“, erläutert Rohleder.

Gesamtspitzenreiter Hamburg verdankt seinen Erfolg vor allem dem jeweils ersten Platz bei den Themen Mobilität und Gesellschaft sowie guten Platzierungen auf den anderen drei Gebieten. Dahinter steckt eine Strategie mit klar formulierten Zielen und einer organisatorischen Struktur zur Umsetzung der geplanten Maßnahmen, für die die Verantwortlichen der Stadt auch mit der Wirtschaft kooperieren. Gute digitale Mobilität besteht dabei laut Bitkom vor allem aus Projekten und Lösungen in den Bereichen smartes Verkehrsmanagement, Parken, vernetzter Öffentlicher Personennahverkehr (ÖPNV), Sharing-Angebote, Multimodalität und Letzte-Meile-Logistik. Und da hat Hamburg tatsächlich einiges vorzuweisen.

 

Mit Hamburg und München liegen die beiden Erstplatzierten in Sachen Mobilität auch in der Gesamtwertung ganz vorn. Aachen verdankt seinen Platz unter den Top 10 der Gesamtwertung nicht zuletzt dem dritten Platz beim Thema Mobilität. Die Ergebnisse für alle 81 Großstädte sind abrufbar unter www.smart-city-index.de. Quelle: bitkom

 

Umstieg mit „switchh“

Eine der vom Bitkom besonders hervorgehobenen Smart City Lösungen ist die seit Juli 2020 verfügbare App »hvv switchh«. Diese ÖPNV-App ermöglicht es den Anwendern, die jeweils schnellste Route innerhalb des Gebiets des Hamburger Verkehrsverbunds (HVV) sowie der weiteren Mobilitätsanbieter aus allen zur Verfügung stehenden Verkehrsmitteln zu wählen. Damit wird der nahtlose Übergang zwischen Bahn, Bus, Auto und Fahrrad inklusive Sharing-Angeboten in einer Anwendung möglich. Über die App lassen sich nicht nur HVV-Tickets kaufen, sondern auch Fahrten mit den MOIA-Sammeltaxen buchen und bezahlen. Bis Ende 2020 soll der Carsharing-Dienst SIXT integriert sein, die Einbindung von StadtRAD, Miles Mobility, Cambio und Ioki folgen und die Abstimmung mit Share Now, WeShare und Hansa-Taxi ist geplant. „Damit sprechen wir alle Menschen an, die ihren Verkehrsmix verändern möchten, auch ohne gänzlich auf das Auto zu verzichten“, sagt Anjes Tjarks, Hamburgs Senator für Verkehr und Mobilitätswende. „Gleichzeitig können wir Verkehr durch die digitalen Lösungen klimafreundlicher, nachhaltiger und stadtverträglicher gestalten“, ist sich Tjarks sicher.

Bestätigt wird er darin durch eine Untersuchung der Technischen Universität Hamburg, die im Frühjahr 2020 rund 3.000 Hamburger zu ihrem Mobilitätsverhalten befragte. Dazu gehört auch die Nutzung von Mobilitätspunkten, also S- und U-Bahn-Haltestellen, an denen bereits Sharing-Angebote zur Verfügung stehen. Jeder fünfte Befragte nutzt regelmäßig ÖPNV und Sharing-Angebote und verzichtet dafür auf einen eigenen Pkw oder hat ihn sogar abgeschafft. Zwei Drittel derer, die noch ein Auto besitzen und die Mobilitätspunkte nutzen, ziehen die Abschaffung in Erwägung. „Gerade in Quartieren, die nicht optimal mit Bus und Bahn erschlossen sind, ist die Verlockung zum eigenen Pkw groß“, stellt Henrik Falk, Vorstandsvorsitzender der Hamburger Hochbahn AG fest. „Mit dem Angebot von Mobilitätspunkten direkt vor der Haustür wird die Nutzung geteilter Mobilität komfortabler, weil verlässlicher“, sagt der Verkehrsmanager.

 

Hamburg ist Knotenpunkt für Schiffs-, Luft- und Landverkehr. Um den damit verbundenen Problemen Herr zu werden, hat sich die Hansestadt zum Vorreiter für digitale Verkehrskonzepte und Lösungen entwickelt.

 

Autonome Überwasserdrohnen und Shuttlebusse

Als weiteres gelungenes Beispiel für eine innovative Smart City Lösung nennt Bitkom die Tiefenvermessung von Hafenbecken und Elbe mit autonomen Messfahrzeugen, um den für Hamburg so wichtigen Schiffsverkehr abzusichern. Seit März 2020 ist dazu „echo.1“ im Einsatz, das erste autonome Oberflächenfahrzeug zur Gewässervermessung im Hamburger Hafen. Die gelbe Drohne ist nur 1,65 Meter lang und verfügt über zwei leistungsstarke 33-Volt-Batterien, mit denen sie bis zu sechs Stunden nonstop unterwegs sein kann. Mit kompakten Hochleistungssensoren trägt sie dazu bei, die Datenlage über die Gewässertiefen im Hamburger Hafen laufend zu verbessern, indem sie unter anderem sehr flache bis zu binnenschiffstiefe Bereiche auslotet, die mit dem Peilboot nur schwer zugänglich sind. „Wir haben den Einsatz von ‚echo.1‘ auf Herz und Nieren getestet. Ich bin mir sicher, dass dieser, vielleicht momentan noch ungewohnte, Anblick eines autonom fahrenden Fahrzeugs im Hamburger Hafen bald zur Normalität werden und ‚echo.1.‘ nicht lange allein bleiben wird“, sagt Hafenkapitän Jörg Pollmann.

 

Startschuss für die neue Mobilitäts-App hvv switch (v.l.n.r.): Christina Becker, Marketingleitung HOCHBAHN, Mobilitätswendesenator Dr. Anjes Tjarks und HVV-Geschäftsführer Dietrich Hartmann.

 

Seit Juni 2020 befindet sich der elektrobetriebene und autonom fahrende Shuttlebus Hamburg Electric Autonomous Transportation (HEAT) in der HafenCity in seiner zweiten Testphase. Das Projekt wird vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt zum Thema Akzeptanz und Bedürfnisse von Nutzern und Teilnehmern des umgebenden Verkehrs begleitet und analysiert. Im Testbetrieb, der bisher ohne Passagiere stattfindet, ist die Geschwindigkeit des fünf Meter langen und für zehn Personen ausgelegten Busses auf 25 km/h begrenzt. Nachdem im Frühjahr 2020 die in der ersten Testphase 2019 gesammelten Daten ausgewertet wurden, haben die Entwickler die Hard- und Softwarekomponenten weiter verbessert. Im Fokus stehen nun die Vernetzung des Shuttles mit der Leitstelle sowie die Anforderungen an die Streckeninfrastruktur. „Wir wollen die Chance nutzen, öffentliche Mobilitätsangebote so zu gestalten, dass sie aus Nutzersicht eine attraktive Alternative zum eigenen Auto bieten“, sagt Dr. Annika Dreßler, DLR-Projektleiterin der Nutzerzentrierten Begleitforschung HEAT. Sofern Tests und Akzeptanz positiv ausfallen, soll der Shuttlebus Fahrgäste der Hamburger Hochbahn ab 2021 als Teil des öffentlichen Nahverkehrs transportieren.

 

Hamburg als Reallabor für digitale Mobilität

Solchen und vielen weiteren Projekten verdankt Hamburg auch die Nominierung als Testgebiet für weitere Schritte in die digitale Zukunft: Seit Juli 2020 und voraussichtlich bis Ende 2021 wird in Hamburg im Rahmen des Projekts „Reallabor Digitale Mobilität Hamburg“ (RealLabHH) erstmals umfassend untersucht, wie die Digitalisierung die Mobilität in den kommenden Jahren nicht nur im städtischen, sondern auch im ländlichen Raum beeinflusst. In zehn Teilprojekten können die Menschen in Hamburg neue digitale Mobilitätsangebote erproben und ihre Meinung über Beteiligungs- und Dialogveranstaltungen aktiv einbringen. Zu den Projekten gehören neben der Weiterentwicklung von hvv switchh und HEAT auch die Einführung digitaler Parklösungen, eine Plattform für die offene Nutzung von Ampeldaten zur Optimierung des Verkehrsflusses sowie Cargo 24/7, ein System zur Koordination und Verlagerung von Gütertransporten zwischen Hafenterminals und Logistik-Hotspots im Hinterland in verkehrsärmere Tageszeiten. „Die Digitalisierung ist einer der Schlüssel, damit der Verkehrssektor seinen Beitrag zu mehr Nachhaltigkeit und Klimaschutz leisten kann“, sagt Rüdiger Kruse, Hauptberichterstatter für Verkehr und digitale Infrastruktur im Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages. „Neue Formen der Fortbewegung müssen aber auch praxistauglich und an den Bedürfnissen der Bürgerinnen und Bürger ausgerichtet sein“, betont der Verkehrsexperte. Zentrales Ziel des Projektes RealLabHH ist daher die Erstellung von konkreten Handlungsempfehlungen für die Umgestaltung der Mobilität nicht nur in Hamburg, sondern überall auf der Welt. Daher sollen die ersten Ergebnisse der Projekte in einem Jahr auf dem geplanten Weltkongress „Intelligent Transport Systems“ 2021 in Hamburg vorgestellt werden.

Christoph Neuschäffer

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