Großer Sprung 3.0

9.9.2019

Chinas Autohersteller und Europa

Großer Sprung 3.0

 Zwei Mal sind Chinas Autobauer mit konventionellen Autos in Europa schon gescheitert. Mit Elektrofahrzeugen wagen sie nun den dritten Anlauf. Die Chancen stehen nicht schlecht.

Kaum ein Europäer kennt Aiways – noch. Das chinesische Unternehmen plant für April 2020 in Europa den Markteintritt seines elektrischen SUV namens U5. Das Auto mit 460 Kilometer Batteriereichweite ist bereits auf dem Weg von China nach Frankfurt – durch Zentralasien und Sibirien. Dieser Test mit „teils fordernden Straßenbedingungen“ stelle sicher, dass das Auto am Ende die Ansprüche von Kunden auch in Europa erfülle, teilte Aiways-Technikchef Winter Wang mit.

Chinas Autohersteller müssen neue Märkte erschließen. Und zwar nicht nur die traditionellen chinesischen Exportmärkte wie Südostasien, Afrika oder Russland. Sondern auch Europa und die USA. Denn ihr Heimatmarkt sättigt sich langsam – und ist für Autos mit Verbrennungsmotor seit Monaten in der Krise. Im ersten Halbjahr 2019 lag der Absatz von Personenwagen 14 Prozent unter dem Vorjahresniveau. Elektroautos boomen weiterhin – aber niemand weiß, wie sich der Absatz nach dem Auslaufen der Elektro-Subventionen Ende 2020 entwickelt.

Zwei Anläufe chinesischer Anbieter sind bereits gescheitert. Zunächst zerschellten die Träume der Hersteller Jiangling (Landwind) und Brilliance an der Crashtest-Barriere des ADAC. Die Unfallforscher des Automobilclubs stellten den Fahrzeugen ein katastrophales Zeugnis aus. Das böse Wort vom „Chinakracher“ machte die Runde.

Byton M-Byte

In gut einem Jahr soll der futuristisch anmutende Byton M-Byte mit seinem quer durch das gesamte Cockpit reichenden Bildschirm in Europa erhältlich sein. © Byton

Dann versuchte es der chinesische LKW-Hersteller Foton, die fast schon vergessene deutsche Marke Borgward wieder zu beleben – ohne Erfolg. Die Expansionspläne liegen auf Eis. Eine geplante Fabrik in Bremen wurde kürzlich gestoppt; ein Deal mit der Autovermietung Sixt zum Vertrieb von Borgward-Modellen platzte. Der chinesische Haupteigentümer Foton verkaufte große Teile von Borgward an Ucar – ein lokales Unternehmen für Chauffeurdienste – und hat in Europa offenbar keine großen Pläne mehr.

Der neue, dritte Anlauf könnte gelingen, denn jetzt kommen die chinesischen Autohersteller mit Elektrofahrzeugen. Diese Technologie beherrschen sie weit besser. Aufstrebende lokale Autohersteller kooperieren heute mit internationalen Ausrüstern, Zulieferern oder Ingenieurbüros. Oder sie werben internationale Design-Veteranen von etablierten Marken ab. Etwa jede zweite Autofirma hat bereits ausländische Design-Chefs, darunter Geely, BYD oder FAW. Hinzu kommen junge Start-ups.

Bisher planen vor allem Firmen mit Beziehung zu Europa den Markteintritt, so die Volvo- und Geely-Tochter Lynk & Co. Deren Modelle sollen im Volvo-Werk im belgischen Gent vom Band laufen und von dort ab 2020 in Europa verkauft werden. Lynk und Volvo teilen eine Plattform für die Kompaktklasse, auf der der Volvo XC40 produziert wird. Händler sollen 2020 laut Lynk in trendigen Städten wie Amsterdam, Berlin, London, Brüssel, Stockholm und Barcelona öffnen. Lynk & Co will mit kompakten Autos in knalligen Farben und mit umfassender Vernetzung eine Lifestyle-Marke für junge Kunden aus den Städten werden. Dazu setzt das Unternehmen auch auf einen neuartigen Direktvertrieb im Internet. Chinas größter privater Autobauer Geely erschuf Lynk gemeinsam mit der schwedischen Premiumtochter Volvo, die Geely-Gründer Li Shufu 2010 übernommen hatte.

SAIC, Chinas größter Autohersteller, startet noch früher: „Schon in diesem Jahr werden wir mit einem elektrisch angetriebenen Auto auf den europäischen Markt kommen“, sagte Aiden He, Europachef SAIC/Roewe beim Automotive Innovations Award der Unternehmensberatung PwC. Als erstes Modell kommt im Herbst der Elektro-Crossover MG ZS EV auf den europäischen Markt. Die englische Marke MG hatte der Shanghaier Staatskonzern auf Umwegen aus der Rover-Konkursmasse erworben. Aus Rover wurde Roewe.

Besonderes Augenmerk liegt außerdem auf Chinas Elektro-Start-ups, die sich zumeist als globale Marken verstehen. Die umtriebigen Elektro-Start-ups gründen Niederlassungen in den USA und Europa, wobei jene in Kalifornien vor allem an der IT-Entwicklung arbeiten, während in Europa eher Design- und Ingenieurbüros gegründet werden. NIO und Byton etwa betreiben solche Designbüros in München. Elektropionier BYD ist bisher vor allem mit E-Bussen in Europa aktiv, die das Unternehmen in Frankreich und Ungarn produziert. E-Busse mit BYD-Logo rollen etwa durch die Straßen Londons, Barcelonas oder über Flughäfen wie Schipohl in Amsterdam. BYD ist der größte Hersteller von Elektrobussen weltweit.

Lynk&Co

Die Volvo- und Geely-Tochter Lynk & Co produziert im belgischen Gent. Von dort soll ab 2020 der europäische Markt beliefert werden. © Lynk & Co

 

Das Shanghaier Start-up NIO – das bereits zwei Elektro-SUV verkauft – hält sich mit seinen Expansionsplänen noch zurück. Der Marktstart im Ausland ist laut NIO-Präsident und Mitgründer Qin Lihong frühestens in drei bis fünf Jahren geplant. „Wir werden eine Strategie für Europa und die USA entwerfen, aber können dafür keine Zeitleiste nennen“, sagte Zhang Hui, Managing Director der NIO GmbH in München, auf der Auto China in Shanghai. Neben den 200 Designern in München beschäftigt NIO unter anderem 500 Ingenieure im kalifornischen San Jose.

Eiliger hat es Konkurrent Byton. Geschäftsführer Daniel Kirchert bezeichnet seine Fahrzeuge als „Hybrid zwischen Auto und Produkt der Unterhaltungselektronik“. Der Byton M-Byte mit einem quer durchs gesamte Cockpit reichenden Bildschirm soll ab Ende 2019 in China ausgeliefert werden. Ab der zweiten Jahreshälfte 2020 folgen die USA und Ende 2020 Europa. Das Auto sei gezielt für den Weltmarkt entworfen worden, sagte Kirchert im April in der Byton-Fabrik in Nanjing. Die Prototypen erfüllen alle internationalen Standards. Gut 52.000 Reservierungen habe Byton bereits, so der deutsche Chef des Unternehmens, der viele Jahre für BMW gearbeitet hat. Jede zweite Bestellung kommt von außerhalb Chinas.

Byton hat den M-Byte von der Plattform bis zum Karosseriedesign komplett in München entwickelt. Bosch ist einer der wichtigsten Zulieferer Bytons und hat auch in der Entwicklung mitgemischt. Dieses Mal wollen die Chinesen – auch mit deutscher Hilfe – alles richtig machen.

Christiane Kühl, Peking

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