5.9.2025
Interview:
„Klimaschutz muss auch ein Geschäftsmodell sein – Wachstum und Wohlstand fördern“
VDA-Präsidentin Hildegard Müller ist besorgt um die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Autoindustrie. Auch wenn Hersteller und Zulieferer auf der IAA Mobility ein „Feuerwerk an Innovationen“ zeigen, bleibt noch viel zu tun. Auch Berlin und Brüssel sind gefordert.
Frau Müller, auf der IAA Mobility werden auch von deutschen Herstellern preiswertere Elektromodelle vorgestellt. Wird damit die Nachfrage nach Elektroautos endlich den Erwartungen gerecht?
Richtig. Auch das zeigt, dass wir unsere Hausaufgaben machen. Damit der Hochlauf der E-Mobilität entscheidend vorankommt, müssen nun aber auch andere liefern – es braucht eine bessere Ladeinfrastruktur. In ganz Slowenien gibt es bisher weniger Ladesäulen als im Raum Hannover. Gleichzeitig sagen uns Energieversorger, das Stromnetz in Deutschland sei an seiner Belastungsgrenze; das heißt hier muss die Energiewirtschaft schnellstmöglich die Netze entsprechend ausbauen. Zur Wahrheit gehört aber auch dazu: Hierzulande ist mit Blick auf Energiekosten, Steuern und Abgaben, Arbeitskosten oder Bürokratie eine günstige Produktion aktuell kaum mehr möglich.
Sieht in Deutschland die Ladeinfrastruktur nicht schon ganz gut aus?
Es gibt Nachholbedarf: Zwei Drittel aller Gemeinden in Deutschland haben noch keinen einzigen Schnellladepunkt. Wir müssen also dringend die Frage nach einer flächendeckenden Verfügbarkeit von Ladeinfrastruktur beantworten. Genauso müssen wir auch die Ladepreise senken, die vor allem an öffentlichen Ladepunkten oft noch hoch und für Verbraucherinnen und Verbraucher intransparent sind. Und insgesamt ist es entscheidend, die Menschen von der E-Mobilität zu überzeugen, sie zu begeistern. Sie sollen sich bewusst für ein E-Auto entscheiden. Deswegen ist die Verbrenner-Verbotsdebatte auch kontraproduktiv und verärgert die Menschen. Wir sollten viel mehr auch hybride Antriebe und klimaneutrale Kraftstoffe stärken, um klimaneutrale Mobilität für die Menschen zu ermöglichen.
Die Elektromobilität ist in Ihren Augen also nicht die 100-Prozent-Lösung?
Die individuelle Mobilität der Zukunft wird ein Mix aus unterschiedlichen Lösungsangeboten sein – das E-Auto wird dabei die ganz zentrale Rolle spielen. Insgesamt wird es aber nicht nur in Deutschland, sondern auch global weitere Formen der klimaneutralen Mobilität geben: Plug-in-Hybride, Range Extender, aber auch Verbrenner, die mit CO2-neutralen Kraftstoffen fahren. Die Entweder-oder-Debatte ist daher falsch. Technologieoffenheit ist hier das Stichwort – und die muss politisch endlich wieder ermöglicht werden.
Nach der Northvolt-Pleite: Haben sie noch Hoffnung, dass Europa den Vorsprung der Asiaten, vor allem von China, bei der Batterietechnologie noch aufholen kann?
Das ist ohne Zweifel ein schwieriges Thema. Der Strompreis in Deutschland ist bis zu dreimal so hoch wie in China oder den USA, der Gaspreis sogar bis zu fünfmal. Gerade für die hier ansässige Industrie, aber auch für die Batterie- und Halbleiterproduktion, die für den Hochlauf der E-Mobilität wichtig sind, sind global wettbewerbsfähige Strompreise entscheidend. Wenn die Energiekosten hier also so hoch sind, dass eine Batterieproduktion nicht wettbewerbsfähig ist, dann ist das kein gutes Zeichen. Die Bundesregierung und auch Brüssel müssen hier aktiv gegensteuern. Natürlich erfüllt uns das mit großer Sorge, wenn bei einem zentralen und wesentlichen Produkt wie der Batterie so eine große Abhängigkeit von Zulieferern aus Asien besteht – vor allem, wenn wir in der Forschung auch selbst ganz vorne mit dabei sind.
„Mit den aktuellen Rahmenbedingungen werden wir die Klimaziele nicht erreichen.“
Neben der Batterie ist ja die zweite wichtige Komponente im modernen Auto die IT. Wie sehen sie die Industrie da aufgestellt?
Die deutsche Automobilindustrie hat den Anspruch, die besten, digitalsten, innovativsten und sichersten Produkte weltweit anzubieten. Und unsere Hersteller und Zulieferer sind im weltweiten Wettbewerb bestens aufgestellt, haben bereits erste vielversprechende Produkte im Test und investieren allein von 2025 bis 2029 rund 320 Milliarden Euro in Forschung und Entwicklung, darunter die Digitalisierung. Die Technologien rund um das autonome und vernetzte Fahren bieten vielseitige Chancen, die für die Mobilität der Zukunft von großer Bedeutung sind, etwa um die Verkehrssicherheit zu erhöhen. Und in diesen Bereichen sind unsere Unternehmen weltweit führend. Wie die digitale Entwicklung allerdings weiter vorankommt, hängt maßgeblich auch vom regulatorischen Rahmen ab. Fakt ist: Brüssel und Deutschland regulieren auch in diesen Bereichen zu viel. Wir dürfen nicht von anderen Weltregionen abgehängt werden, weil wir hier zu sehr einschränkende Regeln setzen, die Innovationen verhindern.
Ist die deutschen Automobilindustrie noch wettbewerbsfähig?
Die deutsche Automobilindustrie ist international absolut wettbewerbsfähig: Mit unseren innovativen Produkten und der einzigartigen Qualität sind wir im globalen Wettbewerb an der Spitze, so etwa auch im Bereich des autonomen Fahrens oder bei der Kreislaufwirtschaft. Auf der IAA MOBILITY zeigen die deutschen Automobilhersteller und Zulieferer wieder ein Feuerwerk der Innovationen. Also: Unsere Industrie geht voran und liefert – problematisch ist dagegen leider zunehmend der deutsche und europäische Produktionsstandort. In Sachen Standortattraktivität sind Deutschland und Europa abgehängt und werden in internationalen Rankings zunehmend durchgereicht.
Aus Brüssel kam in der Vergangenheit vor allem mehr Regulierung und mehr Bürokratie. Haben Sie den Eindruck, dass die EU mittlerweile versteht, dass es mit der Regulierung nicht so weitergehen kann?
In Brüssel braucht es dringend einen Mentalitätswandel. Die EU-Kommission muss einsehen, dass das Konzept der überbordenden Regulierung grundlegend gescheitert ist. Auch Mario Draghi hatte dies ja in seinem Report festgehalten. Transformation durch Regulierung vorantreiben zu wollen, funktioniert nicht. Es ist daher gut, dass es jetzt erste positive Initiativen wie das Omnibus-Verfahren gibt, um Bürokratie hier und da zurückzubauen. Das reicht allerdings bei weitem nicht aus. Noch hat man nicht wirklich erkannt, dass alles, was Wachstum schafft, jetzt Priorität haben muss. Stattdessen gibt es erschreckende Pläne wie die einer zusätzlichen Umsatzbesteuerung für große Unternehmen oder immer neue Regulierungsideen, die erneut für Belastungen sorgen würden.
Hat die Automobilindustrie in der Vergangenheit viele Vorgaben aus Brüssel zu widerspruchslos hingenommen, statt lautstark zu protestieren?
Bei dem Thema Verbrenner-Aus hat sich unser Verband stets für Technologieoffenheit ausgesprochen. Genauso weisen wir immer wieder darauf hin, dass es in vielen Ländern Europas mehr Ladesäulen für den Hochlauf der Elektromobilität braucht. Und auch was die Standortattraktivität und Wettbewerbsfähigkeit angeht, waren und sind wir eine laute Stimme, auch was Rohstoffpartnerschaften und Handelsabkommen angeht.

Die IAA Mobility findet das dritte Mal in München statt. Wie schon 2021 und 2023 wollen Autohersteller, Zulieferer und Dienstleister auch in diesem Jahr ein Feuerwerk an Innovationen und Konzepten zeigen. Foto: IAA mobility
Aber in Brüssel hat das wenig bewirkt.
In der Vergangenheit war die deutsche politische Stimme in Brüssel tatsächlich zu selten durchschlagskräftig zu hören, hier gibt es erste positive Signale, dass sich das nun ändert. Das ist gut, denn es ist wichtig, dass Deutschland mit der neuen Bundesregierung wieder eine stärkere Rolle in Europa einnimmt. Nur ein starkes geschlossenes Europa kann sich auf der Weltbühne behaupten.
Warum kann sich die Industrie in Europa mit ihren Positionen oft nicht durchsetzen?
Viele Länder in Europa haben keine eigene Autoindustrie oder grundsätzlich weniger Industrie als wir. Daher fehlt es manchmal an direkter Betroffenheit und in den entsprechenden Bereichen wird der Handlungsbedarf nicht ausreichend erkannt. Dabei ist unsere Industrie eine Säule des Wohlstands in der EU: Insgesamt ist Deutschland weltweit der zweitgrößte Standort für die Produktion von Elektromobilität. In Deutschland beschäftigen wir rund 730.000 Menschen, in Europa sind es fast 2,6 Millionen Arbeitsplätze in der Autoindustrie. Allein in diesem Jahr werden in Deutschland voraussichtlich 1,7 Millionen E-Pkw gefertigt.
Ist die CO2-Regulierung der EU noch realistisch?
Als die EU-Grenzwerte 2019 festgelegt wurden, war die Welt noch eine andere. Der aufkommende Protektionismus, der russische Angriffskrieg auf die Ukraine, die Folgen für die Energiepreise, die Lieferketten, eine Rezession und zuletzt die US-Zölle gab es da noch nicht. Hätte Brüssel schon damals Handels- und Rohstoffabkommen breit abgeschlossen, hätten wir womöglich besser auf die sich verändernde Weltlage reagieren können. Nun stellen wir fest, dass die Rahmenbedingungen, um die Ziele zu erfüllen, nicht passen. Politik ist mehr als Ziele zu setzen – es ist eben auch Zielerreichung zu ermöglichen.
Was müsste man daraus folgern?
Erst mal ist es zentral, dass die EU in diesem Review-Prozess ihre CO2-Regulierung noch einmal überdenkt und eine ehrliche Bestandsaufnahme der Realitäten vornimmt. Ohne Bereitschaft den Prozess zu analysieren und wo nötig zu verbessern sind die Ziele nicht zu erreichen. Denn mit den aktuellen Rahmenbedingungen werden wir das Ziel, 2035 nur noch klimaneutrale Autos zuzulassen, nicht erreichen können. Es fehlt etwa an einer leistungsfähigen Ladesäuleninfrastruktur und günstigen Ladepreisen. Aber auch die Verfügbarkeit von kritischen Rohstoffen für die Batterieproduktion – zum Beispiel Seltene Erden – muss gesichert sein.
Was müsste geschehen?
Wenn wir unsere gemeinsamen Klimaschutzziele erreichen wollen, gilt jetzt: Flexibilität, um auf die neue Realität zu reagieren und nachzubessern. Das heißt konkret, die Ziele wo nötig auch anzupassen und vor allem auch technologisch zu öffnen. Klimaschutz muss zudem auch ein Geschäftsmodell sein – und Wachstum und Wohlstand fördern. Das muss das Leitmotiv des politischen Handelns werden.
Wie könnte da die Lösung aussehen?
Als Verband der Automobilindustrie haben wir kürzlich einen 10-Punkte-Plan veröffentlicht. Wir fordern: Brüssel sollte jetzt keine Lösung, keine Technik ausschließen, die helfen kann, die Klimaziele zu erreichen. Etwa der Beitrag, den erneuerbare Kraftstoffe oder auch Wasserstoff leisten können, muss stärker in den Blick genommen werden. Pauschale Verbote sind der falsche Weg. Insgesamt braucht es also eine industriefreundlichere Politik. Zu der gehört auch eine strategische Energiepolitik als tragende Säule: Deutschland und Europa müssen dringend mehr Energie- und Rohstoffpartnerschaften mit anderen Regionen der Welt schließen. Ich denke da an Wasserstoff aus Dänemark, Solarenergie aus Afrika oder Lateinamerika. Wir müssen viel mehr neue Wege gehen.
Die US-Zölle sind ja nicht die einzige Belastung für die deutsche und europäisch Autoindustrie. Was müsste nach einer Einigung mit den USA jetzt noch passieren?
Die deutsche Automobilindustrie wird durch die Zölle stark belastet. Grundsätzlich muss die Europäische Union jetzt wirklich begreifen, dass sie alles tun muss, um die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie zu stärken. Und sie muss endlich die eigenen Hausaufgaben machen: Handelsabkommen, Rohstoffabkommen, Energiepreise, Steuern, Arbeitskosten – überall sind wir zu weit entfernt von wettbewerbsfähigen Bedingungen – und die Folgen für die Arbeitsplätze und den Standort zeigen sich immer deutlicher.
Das Interview führte Guido Reinking
.