Gentex gibt die Sicht nach hinten frei

15.11.2020

Kamera-unterstützte Rückspiegel

Gentex gibt die Sicht nach hinten frei

 

Der Marktführer für automatisch abblendende Innenspiegel eliminiert mit Kamera-Systemen ein Ärgernis modernen Auto-Designs: die schlechte Rundumsicht. Doch Gentex will mehr: Innenspiegel von morgen erkennen den Fahrer, messen die Luftqualität und halten die Fahrt auf Video fest. Auch soll man in Zukunft mit dem Rückspiegel bezahlen können.

 

Der „Full Display Mirror“ von Gentex zeigt auch, was rechts und links vom Fahrzeug passiert. Das macht Spurwechsel erheblich sicherer.

Für den ADAC ist die Sache klar: „Obwohl Autos immer sicherer werden, ist die Rundumsicht durch modernes Design gleichzeitig immer eingeschränkter. Dabei zählen laut ADAC Unfallforschung Einbiege-, Kreuzungs- und Abbiegeunfälle zu den häufigsten Unfalltypen, mit dem Übersehen eines anderen Verkehrsteilnehmers als Hauptursache”, schreibt der Autoclub in seinem jüngsten Bericht zum Thema.

Regelmäßig testen ADAC-Fachleute, wie es sich aus Fahrzeugen nach außen blicken lässt. Das Ergebnis ist ernüchternd: Die Rundumsicht wird immer schlechter. Besonders negativ fallen die beliebten SUVs auf, und bei diesen sind es vor allem die Coupé-Versionen, die wegen der abfallenden Dachlinie die Sicht nach hinten stark einschränken. Der Innenspiegel zeigt hier nur noch einen kleinen Ausschnitt dessen, was hinter dem Auto stattfindet.

Der Spiegel-Spezialist Gentex, Marktführer bei smarten Innenspiegeln, hat als Lösung den „Full Display Mirror“ (FDM) entwickelt. Dieser digitale Innenspiegel arbeitet wahlweise als klassischer Spiegel oder als Bildschirm. Der Fahrer muss dazu nur einen kleinen Hebel umlegen. Das dann gezeigte Bild wird von einer Kamera auf dem Fahrzeugdach aufgenommen. Damit vergrößert der Fahrer sein Blickfeld nach hinten signifikant. Weder stören Beladung, Kopfstützen noch die breite C-Säule oder eine flache Dachlinie.

 

In das FDM-System von Gentex ist auch eine Dashcam integrierbar, die zum Beispiel nach einem Unfall wichtige Daten liefert.

 

Die Hochschule Kempten hat das System von 40 Personen im Alter von 18 bis 66 Jahren testen lassen. 95 Prozent der Probanden fanden, die Sicht durch den FDM habe sich verbessert. Einziger Nachteil des Systems: Weil sich das Auge im Gegensatz zum Spiegel auf den Bildschirm fokussieren muss, kann der Blickwechsel von der Straße auf den FDM für ältere Autofahrer ermüdend wirken und eine Adaption erfordern.

 

Der Spiegel stirbt nicht aus

Vor allem in Großstädten, wo die Fahrradnutzung zunimmt und sich Radfahrer und Autos näherkommen, ist der Displayspiegel ein echter Sicherheitsgewinn. Auch für die Seitenspiegel hat Gentex ein System, das die Vorteile der klassischen Spiegel mit denen eines Kamerabildes kombiniert.

Hybrid-Spiegel sind herkömmliche Außenspiegel, in die Kameras verbaut sind. Ihr Bild lässt sich dann in Segmente des Innenspiegels übertragen und zu einem sogenannten Kamera-Monitoringsystem (CMS) vereinen. Der Fahrer kann damit alle Bereiche hinter dem Auto mit einem Blick erfassen. Vorteile des Hybrid-Systems: Die Außenspiegel können verkleinert werden, somit werden Gewicht und Windwiderstand geringer und der Blick nach hinten wird vollständig digital.

„Die Hybrid-CMS-Technologie, die Aston Martin nutzt, kombiniert die Vorteile einer Kamera mit denen von Standard-Seitenspiegeln“, sagt Neil Boehm, Technologievorstand von Gentex. „Wir glauben, dass die Hybrid-Lösung die praktikabelste und fortschrittlichste ist, weil sie die Anforderungen der Autohersteller und Fahrer an die Sicherheit und die gesetzlichen Vorschriften gleichermaßen berücksichtigt.“ Bei weiteren Herstellern steht das System vor der Serieneinführung.

Die Seitenspiegel völlig durch Kameras zu ersetzen ist für Gentex nur die zweitbeste Lösung: Denn bei einem rein kamerabasierten System müssen die Bilder auf der jeweiligen Seite des Autos gezeigt werden: „Was sich links oder rechts vom Auto abspielt, muss auch links oder rechts zu sehen sein“, sagt Professor Bernhard Schick, Research Manager Automated Driving an der Hochschule Kempten. Das sei eine Zulassungsvorschrift in vielen Märkten. Zudem will Gentex den Fahrer entscheiden lassen, ob er die Kamera oder den klassischen Spiegel nutzt.

 

Der elektronische Seitenspiegel sorgt für bessere Aerodynamik und unterstützt den Fahrer beim Spurwechsel.

Durch den Einsatz digitaler Bildverarbeitung im Spiegel ergeben sich noch weitere Vorteile: „Wenn das Kamerabild einmal vorhanden ist, kann es auch von den Fahrerassistenzsystemen genutzt werden“, sagt Klaus Weibler, Senior Director Business Development bei Gentex. Das heißt, das System kann bei Spurwechseln oder beim Abbiegen vor möglichen Kollisionen warnen. Auch eine Dashcam lässt sich für Analyse und Aufklärung von Unfällen im Innenspiegel integrieren. Weitere Kamerafunktionen wie beispielsweise zoomen und fokussieren werden über eine Touchscreen-Bedienoberfläche möglich.

 

Vernetztes Fahrzeug

Im Zuge weiterer Digitalisierung und der Vernetzung des Fahrzeuges mit dem Internet der Dinge erfährt der bewährte Rückspiegel eine Funktionserweiterung und rückt noch mehr ins Blickfeld für den Fahrer moderner Fahrzeuge. Beispielsweise ist ein integriertes System zu Maut-Abrechnung im Innenspiegel möglich. Somit wird das Auto zum Bezahlmedium. Um eine Authentifizierung durchzuführen, wird eine biometrische Iris-Erkennung, für den Fahrer nicht sichtbar, im Spiegelglas verborgen. Damit ließe sich der Fahrer identifizieren und es wird eine sichere Zahlung gewährleistet. Ein weiteres Beispiel zur Konnektivität ist der universelle Garagentoröffner HomeLink®, der in mehr als 100 Millionen Fahrzeugen weltweit eine Verbindung zwischen Fahrzeug und der heimischen Garage herstellt.

Um den Anforderungen zukünftiger Mobilitätskonzepte wie Carsharing und autonomem Fahren gerecht zu werden, bietet Gentex neben Spiegelsystemen auch Rauch- und Schadstoff-Detektoren, die den Innenraum von Fahrzeugen überwachen sowie für Sauberkeit und Sicherheit sorgen. So werden bald auch Innenraumsensoren und Kameras Fahrer und Insassen beim Fahren unterstützen und für erhöhtes Wohlbefinden und noch mehr Sicherheit bei der individuellen Mobilität sorgen.

Guido Reinking

Zum Artikel „Privatsphäre und Komfort durch dimmbares Glas“ >

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