Jetzt kommt die Elektromobilität 2.0

7.9.2017

JETZT KOMMT DIE ELEKTROMOBILITÄT 2.0

Erfahrungsbericht: Wie es sich anfühlt, elektrisch unterwegs zu sein

Jetzt kommt die Elektromobilität 2.0

 

Die Frage, die Passanten stets stellen, wenn sie mich am BMW i3 sehen: Wie weit fährt denn der? Keiner interessiert sich – was früher ja durchaus üblich war – für Motorleistung, Beschleunigung oder Höchstgeschwindigkeit. Nein, die Reichweite ist beim Elektroauto zum Maß aller Dinge geworden. Daraus ablesen lässt sich zudem, wie tief die Angst beim Autofahrer sitzt, mit leerem Akku liegenzubleiben.

Es wundert also nicht wirklich, dass es die E-Mobilität schwer hat, wenn Elektroautos nach 120 bis 150 Kilometern an die Ladesäule müssen und im Winter nicht einmal 100 Kilometer schaffen, weil die Heizung an der Kapazität der Batterie zehrt. Eine Ausnahme mag Tesla sein, der Reichweiten von über 400 Kilometern schafft. Doch die kalifornischen Luxuslimousine schleppt bis zu 90 kWh große und über 500 Kilogramm schwere Akkus mit sich herum und kostet über 100.000 Euro. Was zur E-Mobilitäts-Hürde Nummer zwei führt: dem Kaufpreis. Mein i3 kostete mit den wichtigsten Extras knapp 45.000 Euro. Ein e-Golf oder eine Mercedes B-Klasse electric drive ist mit gleicher Ausstattung nicht viel günstiger. Für die Hälfte dieser Summe gibt es vergleichbare Benziner.

Reichweite verdoppelt

Noch braucht es also eine gehörige Portion Idealismus, ein Elektroauto zu kaufen. Den Mehrpreis durch die geringeren Fahrkosten wieder einzuspielen dauert gefühlt ewig. Belohnt wird die teure Anschaffung mit einem schönen und entspannten Fahrgefühl, denn kein Motor eignet sich für den urbanen Verkehr besser als ein elektrischer. Leise, antrittsstark, emissionsfrei und dennoch voller Emotionen. Zudem verschleißt ein E-Auto kaum. Wer vorausschauend fährt, belastet nicht einmal die Bremse.

Der BMW i3. Es war ein gewaltiger Sprung, zu dem die Bayern da vor fast neun Jahren mit dem „project i“ angesetzt haben. Einen fortschrittlicheren Kompaktwagen konnte man Ende 2013 nicht kaufen.

Michael Specht, 60, ist Maschinenbau-Ingenieur und einer der profiliertesten Autoren für Auto- und Mobilitätsthemen. Es ist Mitglied der „Car of the year“-Jury.

Michael Specht, 60, ist Maschinenbau-Ingenieur und einer der profiliertesten Autoren für Auto- und Mobilitätsthemen. Es ist Mitglied der „Car of the year“-Jury.

Die Branche ist aufgewacht und merkt jetzt, dass ohne elektrifizierte Antriebe die europäischen CO2-Vorgaben ab 2021 (95 Gramm) nicht zu schaffen sind, ganz zu schweigen vom Image-Verlust. Volkswagen hat in diesem Jahr den e-Golf einem Update unterzogen und ihm 300 Kilometer (NEFZ-Wert) Reichweite spendiert. BMW zog mit dem i3 auf gleichem Niveau nach, bietet sogar für ältere Modelle einen Austausch der Batterie an. In den Startlöchern steht bereits Generation 2.0 der Elektroautos. Die Reichweite wird sich gegenüber älteren Modellen nahezu verdoppeln. Dies macht die Stromer erstmals zum möglichen Alleinfahrzeug im Haushalt, wie der Preis-Leistungs-König Opel Ampera-e zeigt. Dessen größter Nachteil: Die Rüsselsheimer können nicht genügend Exemplare liefern.

Ähnlich dürfte es bei Tesla mit dem Model 3 gehen. Mehr als eine halbe Million Bestellungen sollen vorliegen. Es wird Jahre dauern, bis diese Anzahl an Fahrzeugen produziert ist.

Der Leaf – mit über 270.000 Einheiten weltweit meistverkauftes Elektroauto – erhält Anfang 2018 seinen Nachfolger. Die Japaner versprechen 500 Kilometer Reichweite. Gleiches gilt für die Premium-Liga. Hier startet schon im ersten Halbjahr 2018 Jaguar mit dem I-Pace, der ebenfalls 500 Kilometer schaffen soll. Mercedes mit der EQ-Familie, Audi mit dem e-tron und Porsche mit dem Mission E werden folgen. Die Monopolstellung von Tesla ist damit gebrochen. Selbst Bentley und Rolls-Royce bereiten Elektroversionen vor.

Neue Gelassenheit

Volkswagen will 2020 mit der Elektro-Baureihe I.D. loslegen. Reichweite? 500 plus. Da ist es nur eine Frage der Zeit, bis auch die Töchter Audi, Seat und Skoda mit I.D.-Derivaten auf den Markt kommen. BMW hingegen hat leider der Mut verlassen. Jahrelang passierte nach dem i3 nichts mehr. Erst 2021 wollen die Bayern mit dem BMW iNEXT ihre nächste Elektro-Generation einleiten.

Dreieinhalb Jahre im BMW i3 haben aus mir einen anderen Autofahrer gemacht. Ruhe und Gelassenheit gehen vor Power und Performance. Auch wirken Autos mit Verbrennungsmotoren plötzlich ungemein rückständig auf mich, passen nicht mehr zur Mobilität von Morgen.

Michael Specht

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